Tabula Rasa destroyed oder das Ende der Utopiemaschine „Game“

(Dieser Text wurde in der Maillingliste Spielekultur.de veröffentlich am 29. Januar 2010)
„Fable 3 wird laut Spieldesigner Peter Molyneux über einen Ingame-Shop verfügen, in dem Spieler virtuelle Gegenstände – deren Beschaffung sonst Teil des eigentlichen Spiels ist – über ein Micropaymentsystem kaufen können. Molyneux nennt als Beispiel ein Schwert, das für 1 Britisches Pfund(rund 1,10 Euro) im Angebot sein würde.“
http://www.golem.de/0910/70665.html


Was umgibt ein Spiel? Was macht es aus, zu spielen? Ein großes Plus der Spiele war immer die Chancengleichheit, die Möglichkeit im Spiel besser zu werden. Der Mechanismus des magischen Kreises sollte dabei das Spiel umgeben, es abschirmen geradegegen die „schädlichen“ Einflüsse der Realität: Jeder soll beim Würfeln dieselbe Chance haben. Alles andere war einmal „Betrug“. Das Spiel ist dabei eine Art „Tabula Rasa Philosophie“ gewesen, eine Philosophie der „Utopie“. DasSpiel war das Versprechen – die (Wunsch-)Maschine, die es ermöglichte besser werden zu können und es wenigstens hier mit klaren Regeln zu schaffen, an ein glückliches Ende zu kommen. Derselbe„Magic Circle“ ermöglicht natürlich gegen Innen die Bildung eines sozialenSubsystems in dem der kybernetische Kreislauf des Spiels erst in Gang kommenund dadurch Fiktion als Kommunikation generiert werden kann. Das klassische Spielsteht heute in einem immer radikaleren Gegensatz zur Realität, wo Systemgrenzen zerfließen und wo es gesellschaftlich auf Biologie, Elternhaus, Bildung, Zeitumstände und letztlich auch Vernetzung(Filz)ankommt.
Game 1.0: Das Spiel – die Chancen- und Gerechtigkeitsmaschine
Allein das Geschick oder die Zeit soll im Spiel bestimmen,wie weit man kommt. Die Spiele sind die Philosophie des kleinen Mannes: Ihre mögliche Tellerwäscherkarriere. Es sind kleine bürgerliche Träume vom kontrollierten Aufstieg. Die Spiele waren dadurchein kleines Rädchen der Macht im nun kybernetischen Apparat der Macht. Sie vertuschten soziale Realitäten, waren der Kitt der die Armen wie die Reichen zusammenbrachten. Wie das Lachen bei Ecos „Der Name der Rose“, das subversiv die Reichen und Armen auf eine Stufe stellt. Im Spiel ist „Welt“ vereinfachtgesagt: aufgehoben und abgeschoben.
Game 2.0: Das Spiel als eingebundene Realität (Tabula Rasa 2.0)
Die neusten Entwicklungen versuchen nun diese Tabula Rasa 1.0im Game (die noch einzige Tabula Rasa in unserem sozialen Leben) neu zudefinieren, aufzuweichen oder gar abzuschaffen. Die Gründe dafür liegen natürlich auf der Hand: der Magic Circle muss sich kapitalisieren lassen. „Man kann doch nicht nur am einmalig verkauften Spiel“ und damit dem verkauften ‚MagicCircle’ verdienen. Dies hört man in der Branche öfters. Der Nebeneffekt ist dabei und dies steht keinesfalls ein Paradox: Das Spiel bildet nicht mehr nurdie Regeln des Lebens im Spiel ab, als geschützter Spielplatz, sondern es gibt eine direkte Verbindung zwischen diesen beiden Sphären über den Magic Circle hinweg. Es gibt also keinen Rückzugsort mehr, keine escapistische Fiktionswelt,auch hier soll zählen (denn nur darum wird bezahlt): Wer zahlt befiehlt oder anders gesagt, kommt einen Level weiter. Es wird also möglich, was Jahrhunderte lang als „Betrug“ galt: Man kann mit Geld ins Geschehen eingreifen, die Würfel beim Fallen verändern. Ein Aspekt der natürlich überhaupt nicht verwundert, denn hier vollzieht die Gamekultur ja nur, was das „Kapitalmarktphilosophiespiel“ seit dem Ende des realen Sozialismus macht.

Die Veränderung dieser verschiedenen Spielphilosophien lassen sich auch anhand der Vertriebskanäle aufzeigen:
# Game 1.0: Gekauftes System (Klassisches Retail,elektronische Kanäle)
Der Spieler kauft ein Spiel. Das gekaufte System ist zwar nur eine Lizenz zum Gebrauch, lässt sich aber so oft nutzen, wie man möchte und man kann soweit spielen, wie manmöchte. Das Spiel ist Eigentum desSpielers. Der Spieler kann das Spiel weitergeben.
# Game 2.0: Tabula Rasa 2.0 Strategien
Zugang zum System: Bessere Bedienung (GameForge)
Das Grundspiel ist prinzipiell gratis. Der Spieler bekommt ein System zur freien Benutzung. Will der Spieler eine bessere Bedienung musser dafür bezahlen, er ist dadurch schneller bei den Operationen. Das Modellrepräsentiert die allgemeine Realität der Gesellschaft: je mehr Kapitalvorhanden ist, umso einfacher ist der Zugang und die Möglichkeiten im System.
Einbauten ins System: InGame-Advertising (Diverse)
Das Spiel ist gratis. Das System wird also gratis zuVerfügung gestellt oder wie in Game 1.0 verkauft. Die Werbung wird ins Spieleingebaut. Dadurch wird meist der Magic Circle und damit die Fiktion zerstört. Eine zunehmende Rolle spielt hier, dass die meisten beworbenen Firmen nicht in derLage sind, das eigene CI (zu starr) für Ingamepräsenz dem Spiel (Fiktion)anzupassen. (Warum etwa soll die geliebte Deutsche Bank nicht angepasst an denStil aussehen in CallOfDuty auf einem französischen Platz in Bordeaux 1943 stehenoder rund und knuddelig hübsch in locco rocco rumfloaten?)
Eingemietet/Operation ins System: Geliehene Existenz (WorldOfWarcraft)
Eine Existenz wird geliehen vom Spielehersteller. DerSpieler bezahlt jeden Monat für seine Existenzberechtigung in dieser Welt. Er hat kein Anrecht auf ein Spiel in der Zukunft – geht Blizzard pleite, endet auch seine Existenz.. Vorteil bei WorldOfWarcraft ist im Moment noch der Schutz vor dem Abbau des Tabula Rasa 1.0 (in diesem Fall der Verkauf von Schwerternoder Avataren) verboten“ ist. Das ganze simuliert klassisches Leben.
Kapitalisierung der Spielinhalte (Sony, Microsoft, etc)
Diverse Inhalte können gekauft werden, sind aber meist nicht relevant fürs Gameplay. So kann etwa ein Avatar, ein Fahrzeug aufgepimpt werden. Wie im richtigen „Leben“ wird hier das PimpUp-Gefühl einer Gesellschaft simuliert. Ich bin, was ich mir leisten kann.
Kapitalisierung der Systemgrenzen (Molyneux, Sony, Microsoft etc)
Der Spieler bezahlt mehr oder weniger fürs Weiterkommen. Schlechte oder gutbetuchte Personen können im Spiel schneller weiterkommen mitbesseren Motoren etc. Jede Auswahl im Spiel wird zu einem Akt der Selektion,die immer auch monetär sein kann. Dieses Konzept ist das Zielkonzept von Game2.0 und zerstört sowohl die subversive Kraft der Games wie auch den MagicCircle, indem es den Magic Circle kaufbar macht.
(Raubkopierer bezahlen dadurch auch noch nachträglich fürInGame-Inhalte.)
Neue Spielordnung – Post Mortem zum Game 1.0
Die Folgen der Neukonzeption des Spiels und der Unterordnung des Game 1.0 zum Sonderfall des neuen Spielkonzeptes 2.0 sind gravierend. Das klassische Spiel als solches wird in der Welt marginalisiert und zurendgültigen Utopie „erhoben“. Es wird quasi zur Utopie im „Utopiemedium“, zueinem „Spiel“ in den Bezahlspielen. Jugendliche lernen nun nicht mehr über eine Metaebene (das Spiel ist wie die Welt oder die Welt ist nicht so fair wie ein Spiel) sondern direkter, dass der Kapitalismus auch im Spiel vorhanden ist: esmuss überall bezahlt werden, selbst fürs Weiterkommen. Die Frage, warum wir spielen wird eine Neue sein. Aus Sicht des kybernetischen Kapitalismus istdamit alles erreicht, was erreicht werden muss, um auch das Spiel endgültig zukolonisieren. Ob dies bewusst geschah oder aus reiner „Systemimmanenz“ (Geldverdienen um jeden Preis) spielt letztlich keine Rolle. „Der Kapitalismus kann und konnte keine Le(e|h)rstelle lassen für das ‚subversive’ Spiel“, müsste manmit Marx argumentieren. Und das Schöne daran: Die Bankenkrise hat das Ganze konsequenterweise beschleunigt!
Man wird den Kindern bald schon erklären müssen, warum eigentlich nur noch die analogen Spiele „fair“ sind. Und das Beste ist: Alle hier, die da mitmachen, werden dann wieder Einmal sagen: „Das ist so, weil dieWelt so ist.“, statt: Wir waren dabei beim Verrat mit Wort, Stimme, Blog, Bild und natürlich Lohn als Journalisten, Banker, Spielentwickler, Designer, Planer,Förderer und natürlich Spieler.
Euer Mitspieler P.M.Ong
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