Return to Monkey Island oder Ron Gilberts Metaende aller (Video-)Spiele: Alles ein Abenteuerpark (neu auch auf MobilePhone und Tablets)

René Bauer & Beat Suter

Monkey Island war immer schon ein Metaspiel (Piratengenre, Piratenspiele, Piraterie, Ironisierung …), das seit seiner ersten Version 1990 über seine eigene Fiktion hinaus lief. Die neuste (und letzte?) Version „Return to Monkey Island“ steht damit in der langen Liste der PointAndClick-Adventures von LucasArts und ihrer skurrilen Ironie. Es ist vielleicht eines der wenigen Beispiele von europäischem Mukokuseki – wenn auch nicht zwischen verschiedenen gegensätzlichen Kulturen wie in der japanischen Tradition, sondern eher im innereuropäischen Kulturraum.

Guybrush Threepwood als väterlicher Erzähler und das Kind als unterbrechender Rezipient (Faktenchecker)

Im letzten Teil „Return to Monkey Island“ fängt das Spiel schon auf der Metaebene an: Den Rahmen bildet ein Kind (sowie ein Gefährte). Der Spieler* spielt das Kind und darf als erstes Chuck gegen Guybrush spielen. Das Mädchen hat in dieser Welt eine seltsame ‚Funktion‘. Die Geschichte ist von Anfang an eine Metaerzählung, denn in dem Intro ist der Haupt Avatar das Kind von Guybrush Threepwood und Eliane! Es ist Generationen übergreifendes Storytelling mit all seinen (geschichtlichen) Problemen.

Rollenspiele

Dann wechselt man in die Rolle des Vaters, der seinem Sohn die Geschichte vom „Grossen Geheimnis von Monkey Island“ ‚erzählt‘. Charakterwechsel sind seit früheren LucasArts Games klassisch vorhanden und lassen Geschichten immer wieder anders erscheinen; sie sind letztlich ein Rollenspiel. Dadurch wird schon ein erstes Mal die Frage thematisiert: Was ist da echt? Was ist fake? Was ist eine nette Erzählung? Und für wen ist das gemacht? Ist das vielleicht ein Spiel für Kinder, und was ist dann die Funktion? Die Textsorte? Und auf welchem Layer wird erzählt?

Alles nur Fake – alles nur spielbare Geschichte?

Immer wieder wird die Geschichte, die der Spieler* spielt, konsequent unterbrochen, und der Spieler wird mit Nachfragen, Rückfragen und Infragestellungen des Kindes aus der Fiktion herausgerissen. Dies ist umso kontrastiver, da die „Rahmenhandlung“ in einer harmonischen Welt gespielt wird, die nur nebenher als Anekdote nach Piraten aussieht. Sie spielt irgendwo am Meer, es sind Masten im Hintergrund zu sehen, was eher der Welt eines verträumten britischen Empires entspricht – also einer Post(karten) Piraten Welt.

Wobei das Kind wie eine junge Version von Guybrush aussieht. Dies führt dann zur Frage und damit zu einer These zum Spiel: Ist das Ganze nur das Spiel im Kopf des Kindes und seine Semiose/Visualisierung oder nur eine Geschichte von Guybrush? Wie sehr waren alle vorherigen Spiele auch nur eine Erzählung? Seemansgarn? Ist es eine Erzählung an ein Kind und so auch erzählt und erlebbar gemacht als Spiel? Auf einer faktischen Ebene ist es lediglich ein Magic Circle, in welchem das Commitment zur Fiktion diese auch ‚real‘ macht – also eine gespielte Realität im Universum von Monkey Island als einer Spielserie.

Das Heute in der Fiktion – der Diskurs

Im konkreten Spiel geht es um das letzte Geheimnis von Monkey Island – also die „Essenz“. Wobei unklar ist, worum es wirklich geht. Das Spiel selbst ironisiert seine Rolle wie eh und je (wie das auch viele Mainstreamfilme tun, allerdings oft nicht bewusst).

Spieler*welt als Re-entry im Game

Der Titelheld spricht mit Leuten und die Leute sprechen mit ihm, als wären sie Personen von heute (2023), die in eine eher ältere Fiktion (Piratenwelt) hineinversetzt worden sind. Es geht um Bürokratie, Grossraumbüros, Arbeitsbedingungen, FakeNews, PR. Oder anders gesagt: Der Intertext ist immer auch die heutige Welt. Oder konkreter: Es entspricht einem gegenwärtigen Diskurs. Nicht dass die Leute früher weniger klug sein konnten, sie waren genauso clever – wenn auch in einer anderen Welt. Dieser Antihistorische Aspekt kann selbstverständlich auch so ausgelegt werden, als spielten die heutigen Spieler* eben nur bedingt in dieser Welt, sondern befinden sich – was ja auch so ist – eigentlich mitten in der Gegenwart des Jahres 2023. Sie sind also Spieler* der Gegenwart, die ein Spiel in der (damaligen) Fiktion spielen und Leute von Heute sprechen hören und auch so agieren. Ihr Handlungsspielraum ist aber gefangen in der Fiktion von Monkey Island!

Monkey Island: Ein Titel mit vielen sich überlagernden Bedeutungen (Foki) und Diskursmechaniken

Im Spiel geht es um das grosse Geheimnis von Monkey Island. Dabei hat die Frage/Antwort immer mindestens drei Layers:

– Exo: Was ist das Geheimnis von „Monkey Island“ als Spiel?
– Exo/Endo: Die Spielmechanik von „Monkey Island“?
– Endo: Was ist das Geheimnis von „Monkey Island“ als existierende Insel im Spiel?
– Den Layer dazwischen und weitere Layers / Plateaux kommen dazu.

Wie findet das Metadesign im Motivationsdesign, die grosse Challenge, die ‚Suche nach dem Geheimnis‘, konkret mit dem Spiel zusammen?

Story & narrative Mechanik

Klarer noch als in früheren Monkey Island Spielen ist hier, dass es sich um eine narrative Mechanik handelt. Denn die Rahmenerzählung mit dem Sohn macht klar: Es handelt sich um eine Erzählung, es ist keine offene Geschichte – oder doch? Erzählen wir im Spielen etwas nach? Und wie wird es erzählt? Denn eines ist klarer als bei allen anderen Genres: der Spieler* ist unterwegs in einer Bandbreite von Möglichkeiten. Es ist kein offenes Spiel, sondern ein Spiel im Rahmen des Möglichen. Dies ist allerdings auch der Fall für die meisten Computer- und Konsolenspiele. Andererseits lebt das Spiel aus Sicht vom Spielenden vom Unwissen der Konstruktion, ähnlich wie beim Text oder Film.

Die Spielmechanik von Point&Click-Adventures

Es geht also darum, eine Challenge zu erfüllen, dass man* mehr von der Geschichte hört. Text und oft Story ist die Hauptbelohnung. Meist bekommt man mehr vom Text und mehr von den Räumen zu sehen, wenn man eine Challenge erfüllt. Die Erfüllung der Challenges sind meist der Schlüssel zu weiteren Räumen bzw. Stories. Dazu kann man* auch die Vorgänger der Point&Click-Adventures, die Textadventures und die MUDs vergleichen, bei denen die ganze Welt und ihre Events nur mittels Text kontruiert war, auch die Räume).

Storytelling als Mechanik

Sogar das Storytelling selbst ist im Spiel als Mechanik enthalten. Zuerst: Einer der grössten (von fünf) Quests ist es, sich einer Angler-Guilde anzuschliessen. Die Frage hier: Wie kann ich eine gute Angler-Geschichte (Textsorte: Angebertext) erzählen? Über mehrere Stufen hinweg (Gespräche, Erzählen der Geschichte) lernt man* eine richtig gute Geschichte im Angler- und Piratenumfeld zu erzählen. Dabei wird auch sehr viel KnowHow aus der heutigen wissenschaftlichen Erkenntnis eingeflochten. Dadurch de- und reterritorialisiert sich Wissen in die In-game-Fiktion und ins Heute. ‚Leben wir heute nicht auch in so einer Piratenwelt? Vielleicht einfach mit anderem Setting?‘ Und die alte kulturelle Frage: Geht es nicht immer ums Heute?

Zum anderen gibt es die Quest, dass man einen ‚wissenschaftlichen‘ Text zum PR-Flyer machen muss und damit einen Text gegen Skorbut schreiben und an die Piraten adressieren muss (Auswahl als Dialog). Wissenschaft mögen sie nicht. Das Ganze ist ein erstaunlicher Metatext zu dem, was wir heute alles so erleben in Sachen Werbung.

Es kommen natürlich auch sehr viele Bücher und Bibliotheken im Spiel vor. Verschiedene Arten von Darstellung der Vergangenheit und Tradierungen etwa als Guybrush in einem Museum seine Geschichten aus zweiter Hand zu hören bekommt und darauf besteht, dass es anders war. Wobei auch hier die Frage aufkommt: Sind wir als Spieler in diesem Universum wirklich sicher, dass es so war? Nur weil wir es selbst gespielt haben? Und damit glauben es erlebt zu haben?

Vom metaphorischen Schlüssel zu konkreten Schlüsseln

Gegen Ende des Spiels kommt das Spiel immer näher zur (Meta-)Spielmechanik des Point&Clicks. Es geht immer öfter um Schlüssel. Es ist ein Weg vom metaphorischen Schlüssel (Suche xyz. Setze xyz ein) zum konkreten Schlüssel. Denn am Ende steckt das Geheimnis von „Monkey Island“ in einem Tresor mit 5 Schlüsseln, die selbstverständlich überall verteilt sind. Es ist bis heute das einfachste Spiel fürs Gamedesign: Schlüssel zu zerbrechen, zu brechen zu brechen. Nichts ist einfacher und motivationstechnisch gefährlicher als das.

Auch diese Schlüssel können und müssen gefunden werden. Im Zentrum steht unter anderem auch eine Schlüsselmacherin, die Schlüssel anhand von Seriennummern machen kann, die man mit der Lupe überall abpaust.

Am Ende schafft es der grosse Antagonist, der böse Pirat – wobei moralisch Guybrush auf dünnem Eis unterwegs ist und Walley hängen lässt – zuerst das Rätsel zu lösen und durch die letzte Tür zu gehen. Guybrush folgt ihm und steht wieder in der Stadt: einer fremden bekannten Stadt, denn alle Dinge bewegen sich an Fäden (etwa die Taube).

Mehr und mehr wird klar: Es handelt sich um einen Abenteuerparkt mit sämtlichen Figuren einer Klamaukbude. Nur der Avatar ist noch frei, die anderen Figuren sind geführt, plappern endlos (vgl. dazu auch eXistenZ – eine der radikalsten Adventureverfilmungen). Wie einst in eXistenZ ist das Spiel offensichtlich und der Spieler* bewegt sich mit Guybrush im Park – seiner eigenen Erzählung.

Am Eingang steht Elaine, die meint: „Mach endlich das Licht aus, dann können wir gehen“. Damit werden auch alle vorhergehenden Meaningful-Decisions (Kann man Walley retten?) entwertet. Digitaler Biedermeier ohne Folgen? Wie das bei allem Digitalen im Moment der Fall ist: „Es ist nur ein Amusement-Park. Es ist Fiktion“. Und was ist in der Truhe? Ein T-Shirt (das man nicht ansehen kann .-).

Die Info beim Eingang macht dann klar: Es ist dein eigener Abenteuerpark. Es ist das Spiel – auch aus der Perspektive des GameDesigns: Alles eine Staffage. Alles fuer den Spielenden*. Dadurch wird auch Kafkas „Türsteher/Vor dem Gesetz“ nochmals spielerisch aktualisiert – ohne allerdings so personalisiert zu sein – das ist alles nur für dich da. Danach ist es weg. Es sind Gesetze für dich und deinen Spass – wir haben alle mitgemacht. Kafkas Texte haben immer mit der eigenen Gesetzlichkeit gespielt (Texte des Kybernetischen).

Dann kommt die Frage der Interpretation, was soll das alles bedeuten? Hier darf der Spieler* wieder eingreifen und muss sich fragen, was er jetzt als Moral seinem Sohn erzählt. Was ist das Geheimnis? Und wie wird sein Sohn reagieren? Die Auswahl ist die Folgende:

Und dann – und hier unterscheidet es sich massiv von einen Filmequivalent wie „The Truman Show“ – fordert Elaine einen auf, doch das Licht im eignen Piratenabenteuerpark auszumachen oder metaphorischer: vom eigenen Spiel zu lassen. Und selbstverständlich geht es auch hier, um verlängerte 15secs of fame.

Oder ist das Ende tatsächlich offen, und es gibt einen gleichzeitigen Themenpark in Monkey Island? Ist es tatsächlich eine endlose Schleife? Ein Teil des Endes ist es auch, den Suspense aufrecht zu erhalten, die Irritation, was da nun los ist. Wusste Guybrush von diesem Spiel? Oder ist es gar so, dass er sich als Spieler entdeckt im fiktiven Erzähl- und spielerischem Erzähluniversum. Es bleibt offen. Wobei für die Spielenden, die Sache einfacher scheint.

In einem Ende sagt dann Elaine auch, sie hätte eine weitere Karte gefunden. Das Interesse ist mässig, wenn man die Mechanik schon mal offen gelegt hat .-) Was bringt dann der nächste Turn? Dennoch lesen Leute beispielsweise alle Kapitel von „Das Schloss“, dabei ist die Regelmechanik schon nach einem Kapitel klar. Der Rest ist Content in allen Variationen – fast schon de Sadsches Tableau. Das Ende rollt bei Kafka wie Gilbert, das Gamze neu auf: Gab es Anzeichen?

Reise ins Gamedesign und den beschränkten Welten

Interessanterweise ist das Spiel auch eine Reise durch die Geschichte zum (spielbaren) Gamedesign selbst. Denn die Spieler* bewegen sich tatsächlich in einem vorgefertigten Freizeitparkt genannt Videospiel und entscheiden „within“. Es ist das, was das Design eines Spiels letztlich ist: Ein Funpark für Spielende mit Funsklaven (AI-NPCs). Und da stehen Spielende dann wie auch Guybrush selbst.

Die komplexe Welt von „Return to Monkey Island“

Zusammengefasst ergibt sich ein vereinfachter folgender Komplex: Der Spielende* ist in seiner analogen Welt und klinkt sich in die Spielwelt von „Return to Monkey Island“ ein (vgl. dazu Sinnsystem Shooter). Zuerst als Kind, dann als älterer Guybrush mit Kind und dann konkret im Game.

Betrachtet man die Struktur wird schnell klar, dass die Konstrukteure, sehr wohl sehr komplexe Strukturen beherrschen wie man sie etwa in der Literatur findet. Und diese wenden sie im Game gekonnt an und erweitern sie sogar, um die Möglickeit der Auswahl (Choose the Aventure for the imaginated or real kid). Dabei wird das Erzählen der grossen ‚Heldentaten‘ in Games mit ironisiert.

Automatisches Rekonfigurieren

Interessant daran ist auch wie sich in diesem System automatisch die Bedeutung verändert, welcher These/Interpretation man dabei folgt. In etwa: Ist alles nur ein Fake, und er war gar nie der Pirat, weil es heute keine Anzeichen dafür mehr gibt? Ist damit alles in Frage gestellt oder nur teilweise? Darf man seinen (virtuellen) Eltern (die man spielt) trauen, wenn sie einen unüberprüfbare frühere Geschichten erzählen, die ein Spieler* ja durchs Spielen des alten Spiels erlebt hat? Ist es ein Erleben einer Story in Games?

Die Konstruktion von „Return to Monkey island“ erinnert an einige narrative Mechaniken von Kafka, die die Texte gegen Ende neu deuten, wie es danach viele Filme getan haben oder dann alles zum Traum erklärt wird, eine der übelsten Storytelling-Tricks. Dadurch wird das Spiel dynamisch, weil sich immer alles ändert wie in einem System und seiner Aktualisierung üblich. Es entsteht ein endloses Wiederdenken. Gut bekannt sind solche dynamischen Semiose-Konstruktionen ja auch etwa in Filmen wie Lost Highway von David Lynch. Man könnte es ’schwebender Inner- bzw. Intertext‘ nennen.

Der Disney-Intertext

Der Disney-Intertext dazu ist vermutlich auch: Pirates of the carribean – der Park und die Filme. Der 1967 eingerichtete „Ride“ in Disneyland war Vorbild für eine grosse Medien-Franchise in Film, Serien, Romanen, Games und Parks. Auch Monkey Island lehnte sich 1990 bereits an den düsteren Vergnügungs-Ride an, der in seiner ursprünglichen Version noch von Walt Disney selbst erstellt wurde. Wobei Monkey Island immer auch eine Ironie hatte, die jenseits vom Park/Film ist. Leider gehört auch LucasArts heute zu Disney (irgendwo im Innern von Star Wars). Im Abspann wird auch konsequent Disney gedankt. Vielleicht wäre ohne diese Abhängigkeit mehr Zynismus drin gewesen. Es wäre jedenfalls zu wünschen. Schliesslich bietet Disney wie fast niemand anderer einen Abenteuerpark von Schiffen über Comics über Superhelden über Parks bis zu Filmen und Games. Und ist auch gleichzeitig ein wichtiger Teil des Machtdispositives der westlichen Welt.

Fazit

Es scheint als hätte das Team um Ron Gilbert tatsächlich ein Videospiel über Videospiele geschaffen, dass seine eigene Interpretation teilweise spielbar macht – und dies auf mehreren Ebenen. Gilbert und sein Team kommen dabei spielerisch zum Punkt. Ein bisschen mehr Schwärze (mehr Intertext zur analogen Welt der Spielenden) hätte dabei gut getan neben der Kritik von Fakenews/Storytelling/Marketing/Arbeitsmethoden, denn letztlich sind all die Videospiele nicht mehr so unschuldig wie sie damals, 1990, waren – wenn sie es je waren! Denn heute sind sie mehr denn je ein Teil des Machtdispositivs unserer Gesellschaft. Und gerade hier kann man auch mit der Kritik ansetzen: Das Ganze scheint in einem gewissen Sinn auch das zu verniedlichen, was Games sind und welche Werte sie vermitteln, selbst wenn sie nur ein Vergnügungspark sind oder gerade weil sie nur ein Magic Circle für einen Vergnügungspark darstellen.

Insofern ist ReturnToMonkeyIsland auch ein gelungener Beitrag zur Diskussion des Digitalen Biedermeiers im Medium ‚Game‘.

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