Radikalisierende Beurteilungs- und Kommentarmöglichkeiten in SocialMedia und zwei deeskalierende in Newsplattformen/Zeitungen

Social Media und Beurteilungs-/Wertungsmöglichkeiten

Warum sind viele SocialMedias oft so radikalisierend (falls sie es sind)? Ein erster Grund ist sicherlich, dass oft nur marginal beurteilt werden kann: Es gibt nur ein Liken etwa bei Twitter oder eben das viel aufwändigere Posten. Ein Handlungsraum wird künstlich beschnitten. Dadurch kann natürlich Frustration entstehen: Warum sollte man nur positiv etwas bewerten können? Daraus folgt natürlich, dass jeder Widerspruch ein Textpost sein muss. Das ist für Twitter gut nur auch ein Aufreger sondergleichen.

Hier das Beispiel von Twitter/X: Es darf nur gemocht werden. Die anderen Reaktionen sind versteckt in der Übersichtszuammensfassung. Retweet ist dabei die Steigerung. Die Anzahl der Antworten sagt nichts über den Inhalt aus.

Ein Grund bei Social Media ist zusätzlich sicherlich das Nichtvorhandensein einer Content-Logik oder anders gesagt: Es handelt sich nicht, um eigentliche Aufschreibesysteme. Man könnte sie auch als Nicht-Themenbezogene Aufschreibesysteme bezeichnen. Die Folgen sind schnell klar: Es geht jeden Tag von Neuem los. Es geht – wie an anderer Stelle beschrieben – um die Aufrechterhaltung der SocialMedien-Identität. Diese existiert nur im ewigen „Wiederholen“ und zwar jeden Tag. Der Grund: diese zerfällt ja permanent. Es gibt da nicht Permanentes, keine stehenden Texte. Davon leben diese CopySocialMedia-Systeme (vs. gemeinsames Arbeiten an einem Text). Mehr dazu: The Twitter Game / Game Mechanics of Twitter.

LinkedIn [SocialMedia] – Nur positive Reaktionen – Nur positiv (Pars pro toto)

www.linkedin.com

LinkedIn als ist bekanntlich eine „Wohlfühloase“. Hier soll alles positiv sein. Und so sieht man hier verkürzt die letzten Icons, wieviele Kommentare und die Anzahl Kommentare. Dabei ist schnell klar: LinkedIn erweitert das Like zu verschiedenen Arten und Abstufungen von Likes. Das Konzept bleibt aber dasselbe.


Dabei können die Leute und ihre BeurteilungAbstimmung mit den Füssen sogar eingesehen werden. Hier gibt es sogar eine Statistik.

Und jeder ist sichtbar. Dadurch werden die Leute quasi zugeteilt zu verschiedenen Aktionen. Moralisch gefährlich ist das nicht, da die Möglichkeiten des Abstimmens mit den Füssen sehr begrenzt sind und das auch sehr wie soziale Überwachung funktioniert. Der Möglichskeitsraum der Nutzer* ist aber auch hier krass eingeschränkt. Es gibt fast nur positive Möglichkeiten visuell/ikonografisch zu antworten.

Dadurch wird offensichtlich versucht nur positive Bekundungen zu erlauben. The Medium is the Message hier. Wer also hier kritisch mitmachen möchte, der muss schreiben: Sei es einen Kommentar oder einen neuen Beitrag, der kritisch anfängt. Die Kommentare sind bei LinkedIn aber zusätzlich massiv unübersichtlich. Es entstehen nicht mal Kommentarbäumchen.

Hier wird wie in vielen anderen Kommentarbereichen versucht, die Auseinandersetzungen quasi in Aufwand zu verwandeln. Das führt natürlich auch zu vielen Kommentaren und oft sich wiederholenden Kommentaren. Das Ganze scheint unmoderiert zu sein. Die Frustrationsraten sind vermutlich hoch, wobei bei LinkedIn niemand irgendetwas erwartet – es ist alles schön und gut.

Artikel, keine Artikelbewertungen und Kommentare

Dies ist anders bei Artikelkommentaren in Newsportalen/Zeitungen. Artikelkommentarsbereiche sind meist an ein Thema bzw. an einen Artikel gehängt. Sie haben also ein gewisses Topic oder einen Themenkomplex, wo jemand sich mit etwas beschäftigt hat.

Aber: Interessanterweise lassen sich diese Artikel meist nicht direkt bewerten/beurteilen sondern nur kommentieren! Die Artikel werden damit der schnellen Beurteilung entzogen. Das schützt zum einen die Journalisten*, ist aber andersherum sehr fragwürdig. Warum sollten Medienunternehmen hier die Kommunikationsmöglichkeiten einschränken? Es handelt sich hier klar um eine Kontrolle über den Artikel. Im Hintergrund wird ja sehr wohl erfasst, welcher Artikel „wie beliebt“ ist (siehe Mechanik der ClickBaits). Selbstverständlich müssen damit die Leute „in die Kommentare“ gehen, um zu schauen, wie andere ihn beurteilen. Und selbstverständlich ist diese Unklarheit auch wiederum gut (für die Betreiber), die Leute klicken in Kommentare und das ist schliesslich bei vielen Portalen das EinUndAlles.

Es wird dabei nicht beachtet, dass Leute vielleicht nur informiert werden möchten und ihre Abogebühren dafür bezahlen, eben nicht dauernd Meinungsorgien und oft intendierten Clickbats ertragen wollen.

Würde hier hingegen angezeigt werden, dass 50% den Artikel „schlimm“ finden würden oder „positiv“, wäre dem Lesenden nach dem Lesen klar: Ok, die Welt ist in Ordnung (andere finden das auch so) oder Ok das geht ja gar nicht (aber andere finden das auch). Er könnte beruhigt weitergehen (seine Meinung ist abgebildet) oder eben nicht. Dies wird hier offensichtlich verwehrt. Oder: Soviel Ehrlichkeit möchten dann Zeitungen/Newsportale nicht. Beim Durchgehen der meisten Newsportale und Zeitungsseiten: überall dasselbe Bild. Es ist sogar so krass Teil der Kultur, dass mir als Mediennutzer das bis heute nicht aufgefallen ist.

Es besteht also ein krasser Unterschied zwischen Ursprungstext und dessen Kommentare im Vergleich zu „Social“Media, wo alles immer Anfang sein kann. Anders gesagt: Die Kommunikation wird hier von oben nach unten kontrolliert. Der Artikel ist in einem gewissen Sinn hier das transzendentale Signifikat, hier hört die innermediale Diskussion auf. Der Artikel ist gegeben. Darüber darf diskutiert aber nicht gewertet werden. Dies führt natürlich zu einem gewissen Frustpotential. Keine Handlung möglich. In den Artikel-Kommentarbereichen darf man dann „auf einander ‚losgehen'“ (im schlimmsten Fall) aber für oder gegen den Artikel nicht. Dazu braucht es einen Kommentar, eine Begründung. Man könnte auch sagen: Der Artikel dient als Aufhänger für Themen und die Diskussion und so werden hier auch Diskussionen von denselben Forenteilnehmern* über mehrere Artikel kommentiert.

Der/Die Artikel bilden in diesem Sinn einen Rahmen, auf den die Kommentare niedergeordnet folgen – die der Zeitung bzw. eines Portals. Das heisst, je weiter unten man sich befindet in diesem Tree umso unwahrscheinlicher verirrt sich jemand dahin. Das hat auch damit zu tun, dass man dann wieder „zurück“ muss. Dies ist radikal anders als viele Social Media Kanäle, die das Ganze flatten und die Diskussion quasi immer diskursiv machen.

All dies kontrolliert natürlich Verhalten und auch Frust – also nur Frust über das Medium, noch nicht einmal über die konkreten Themen.

Kommentarbereiche mit offenen Skalen von [ Positiv oder negativ ]

Ganz anders funktioniert das heise.de-Forum und das DieZeit-Forum.

Heise.de-Forum (ct) (Newsportal & Zeitung)

www.heise.de

Das Forum für einen Artikel sieht folgendermassen aus.

Das Heise-Forum existiert seit Urzeiten und bewegt sich im Bereich von Technologie. Hier können angemeldete User – wie überall auch – Kommentieren und Bewerten. Das Ganze ist sehr technisch gehalten oder man könnte sagen, visuell auf dem Stand von 2008. Dies gehört aber hier offensichtlich zum Konzept.

Durch die Bewertungen der Artikel (und vermutlich sogar der untergeordneten Artikel) entsteht immer zusammengefasst eine Übersicht. Dadurch wird sehr schnell klar, welche Inhalte umstritten sind. Dies hilft sehr schnell einen Überblick zu bekommen. Auch die Kommentare darunter können sehr einfach ausgeklappt werden und man sieht sehr schnell, wie der „Hase“ läuft.

Dabei vertraut man auch ein bisschen auf die vertretende Szene. Und man schaut sich nur die grüngefärbten an. Selten sind rot gefärbte Kommentare wirklich gut.

Das Ganze basiert auf einer einfachen Bewertung – die aber anders als Linked in – eben auch negative Beurteilungen zulässt.

Dadurch kann sehr schnell beurteilt werden und das eigene Lesen wird konkret umgesetzt in einen Kommentar. Keine langes Zurück und Scrollen. Hier schreibt man eher seltener etwas, weil man schnell sieht, dass die eigene Meinung schon abgebildet ist. Und dann wenn man bewertet etwa mit einem [-] ist man seinen Frust über das Gelesene oder die dargestellte Meinung auch schnell los.

Auch lässt sich einfach die Bewertungsstatistiken ausklammern.

Zur Entspannung gibt es auch noch die direkte-indirekte-Email an andere Forenteilnehmern*.

Wie oft diese Möglichkeit gebraucht wird, ist „naturgemäss“ unklar.

DieZeit-Forum (Newsportal & Zeitung)

www.zeit.de

Die Zeit ist eine gesllschaftsliberale Wochenzeitung mit einem ausgebauten WebNewsPortal. Wie bei heise.de gibt es immer wieder neue Artikel (der Zeitung folgend aber auch direkte neue Artikel), die online erscheinen. Dadurch gibt es immer wieder neuen Content. Die Kommentarbereiche werden also anders gesagt immer wieder eröffnet. Anders als die oben gezeigten Kommentarbereiche ist dieses „moderiert“. Dadurch ist des Öfterns kein Kommentar möglich ganz am Anfang der Veröffentlichung.

Die Kommentare und Bewertungen sehen wie unten aus. Durch die Statistik unter dem Beitrag ist es sehr schnell möglich, einen Überblick zu erhalten. Ein Anlesen des Kommentares macht dann schnell klar, in welche Richtung die Kommentare gehen. Die direkte Visualisierung zeigt sehr schnell auch an, ob es eine Normalverteilung (tendiert zu Positiv oder Negativ) oder ob es sich um einen kontroversen Artikel handelt (Viel positiv oder negativ).

Die Bewertungsmöglichkeiten sind dabei von positiv bis negativ. Wobei die Ikonografie nicht genau sagt, was das ganze eigentlich meint: Sternchen? sicher positiv, aber was genau? Das Herzchen, einigermassen klar. Das Smilie?

Gerade im „Negativen“ ist irgendwie unklar, was da gemeint ist.

Das Raster sieht folgendermassen aus:

Hier kann recht differenziert, wenn auch fuzy ausgedrückt werden. wie der Kommentar eingeschätzt wird von anderen.
Hier wird auch oft anders als im Heiseforum der Kommentar gelesen und dann abgeglichen mit der Kommentarbewertungsstatistik. Das ist fundamental anders als beim Heise-Forum, wo man den Artikel einzeln anklicken muss, um den Text zu lesen.

Es ist hier schnell ein Spiel der Kommentarmeinung (Wo gibt es mehr) entgegenzuwirken, nur mit Clicken und keinen Kommentar schreiben zu müssen, falls nötig.

Schwieriger ist in diesem Kommentarbereich dafür, die Antworten der Antworten anzuschauen. Das funktioniert hier nicht als ein- und ausblenden.

Kurzfazitchen

Durch das Design von konkreten Möglichkeitsräumen/Agency auf SocialMedia oder Newsplattformen können diese Plattformen den Diskurs rund um Posts/Artikeln steuern. Dabei evoziert die Einschränkung aller Möglichkeiten zu Handeln natürlich entsprechende Reaktionen (aus technischer Sicht ist es natürlich umgekehrt).

Ein völliges Einschränken wie bei Twitter auf nur zwei Positive Möglichkeiten (Liken/Retweet) fordert geradeazu alle nicht Einverstandenen dazu auf Gegenkommentare/Posts zu schreiben. Und sind natürlich auch frustrierend an und für sich. Ein schnelles Beurteilen ist schlicht und einfach nicht möglich.

Je detaillierter die Möglichkeiten sind von Positiv bis Negativ, umso einfacher können Nutzer* ihre Meinung abgeben und müssen nicht zu Posts/Kommentaren greifen. Dadurch können Leute schnell ohne Aufwand handeln. Kommentare werden zum AddOn, sind kein Muss.

Eine Anzeige der konkreten Statistik (Wieviele +, -) wie etwa bei heise.de und DieZeit.de ermöglicht ein schnelles Einordnen des Kommentars. Muss es gelesen werden oder eher nicht. Gibt es viele Pros oder Contras? All das hilft. Heise.de macht dies ohne Icons sondern rein per Diagramm: grüner oder eben roter.

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